© Bild: kieferpix / stock.adobe.com
Selbstwirksamkeit: Berge versetzen mit dem Glauben an sich selbst
„Wenn es eine draufhat, Birgit, dann du! Warum hast du dich nicht um die Abteilungsleiterstelle beworben? Jetzt stolziert der Schmidt mit seinem triumphierenden Grinsen herum und wird uns mit seiner Ahnungslosigkeit jahrelang drangsalieren. Ich hab echt auf dich gezählt.“ „Ach weißt du, ich hätte das Assessment Center eh nicht gepackt. Und was kann ich als Frau schon bewegen? Nicht umsonst ist die Meier wegen Burn-out gegangen. Du machst dich doch nur kaputt, und die Familie zu Hause muss auch zurückstecken.“ „Mensch, das hätten wir alle zusammen hinbekommen. Wir stehen doch alle hinter dir und hätten dich unterstützt. Jetzt haben wir einen intriganten Nichtskönner am Bein und werden ihn nicht mehr los.“
Brigit Lamprecht hätte es wirklich schaffen können: jahrelange Erfahrung, gute Connections im Haus, Top-Weiterbildungen, immer ein offenes Ohr für die anderen und ein echtes Händchen für Menschen. Doch obwohl sie zu den Besten gehört, fehlte ihr der Mut, sich ins Bewerbungsgetümmel mit den Pseudo-Alphas zu stürzen. Wie kann das sein?
Gründe ließen sich einige vermuten, doch bei genauem Hinsehen lag es weder am Chef noch an den Kollegen, weder an der frustrierenden gläsernen Decke noch am Assessment-Center. Es lag am Selbstzweifel daran, den Herausforderungen und Schwierigkeiten der neuen Position gewachsen zu sein und diese erfolgreich bewältigen zu können. Oder anders gesagt: es lag an mangelnder Selbstwirksamkeit.
Was ist Selbstwirksamkeit?
Das Konzept der Selbstwirksamkeit geht auf den kanadischen Psychologen Albert Bandura zurück, der seit den 1970ern in mehr als zwanzig Jahren Forschung nachwies, dass selbstwirksame Menschen erfolgreicher und gesünder sind, als solche, die an ihren Fähigkeiten zweifeln. Zu beobachten ist das in allen Metiers, sei es in Wirtschaft, Verwaltung, Politik, aber auch in der Medizin, im Sport, in der Kunst, und selbst in der Psychopathologie.
Wer wenig Selbstwirksamkeit besitzt, zweifelt am Erfolg der eigenen Handlungen, zaudert anstatt zuzupacken, wirft beim ersten Erfolgsknick die Flinte ins Korn und gibt sich mit weniger zufrieden als mit voller Energie erreichbar wäre. Was hält uns davon ab, mit voller Kraft zur Sache zu gehen? Die Erfolgsaussichten wären in jedem Fall größer – und dennoch ertappen wir uns immer wieder dabei, zu bremsen, statt Gas zu geben.
Bremsen aufdecken und lösen
Der Schlüssel liegt also zunächst darin, die Bremsen, an denen wir gescheitert sind, zu kennen, um sie dann mit einer geeigneten Methodik zu lösen.
Bremse I: Der Kopf sagt ja, das Herz sagt nein
Das kennen wir alle – beim Wunsch, mehr Sport zu machen, das Rauchen aufzuhören, gesünder zu essen, endlich abzunehmen, mehr Konsequenz beim Erledigen unangenehmer Jobs walten zu lassen oder dem Chef mutiger entgegenzutreten, wenn er mal wieder auf dem Holzweg ist: Die Einsicht in die Notwendigkeit ist da, die Disziplin zur temporären Umsetzung auch, doch dann steigen wir aus.
„Ich komme gegen meinen inneren Schweinehund nicht an“ fasst in Worte, wie es sich anfühlt, wenn wir etwas im Kopf wollen, doch das Herz nicht dabei ist. „Fakten bringen zum Denken, Gefühle bringen zum Handeln“ lautet die alte Weisheit, die sich immer und immer wieder bewahrheitet, wenn aus im wahrsten Sinne des Wortes vernünftigen Vorsätzen kein nachhaltiges Umsetzen wird.
Bremse I lösen: Ziele emotional aufladen
Was ist zu tun? Lade rein „vernünftige“ Vorsätze und Pläne emotional auf oder verabschiede dich davon. Stell dir live und in Farbe vor, wie es ist, dein Ziel erreicht zu haben. Was siehst und hörst du? Riechst und schmeckst du vielleicht etwas? Wie ist die Temperatur? Wie fühlst du dich? Falls es dir nicht gelingt, dich derart „hinein zu beamen“, gehört das jeweilige Ziel wahrscheinlich in die Kategorie der „Hirngeburten“, von denen du besser auch rational-kognitiv Abstand nehmen solltest. Deine emotional-intuitive Seite ist ja ohnehin schon auf Distanz gegangen. Damit bereinigst du deinen „Wunschzettel“ von Unnützem, Unerreichbarem oder Entmutigendem.
Bremse II: Kopf und Herz sagen ja, der innere Zweifler leider auch
Die zweite Bremse ist hinterlistiger als die erste, weil sie unser Zutrauen kontaminiert. Wir wissen, dass es etwas zu erreichen gilt und wollen es unbedingt, zweifeln aber daran. Birgit Lamprecht hat es in allen Nuancen durchlebt: „Denkst du echt, du schaffst das?“ „Was ist mit Noah, der gerade in der Schule absackt?“ „Ob mich mein Mann überhaupt unterstützt?“ „Und am Ende kriegt doch wieder einer der Stadionkumpels vom Chef den Job, ganz egal, wie viele Beine ich mir ausreiße! Warum es also überhaupt versuchen?“ Unser innerer Zweifler schickt uns beständig Warnungen, schließlich meint er es gut und will uns vor Misserfolg schützen. Dass er uns damit auch die Erfolgschancen nimmt, kümmert ihn nicht – schließlich ist er professioneller Zweifler. Leider stammen seine Erfahrungen zumeist aus jahrzehntealten Situationen, die kaum etwas mit den aktuellen Vorsätzen gemein haben. Trotzdem zieht er diese als Referenz heran.
Bremse II lösen: Dem inneren Zweifler Einhalt gebieten
Was ist zu tun? Würdige deinen inneren Zweifler mit seinen steinalten Refererenzerfahrungen und gebiete ihm zugleich Einhalt. Damit sorgst du dafür, dass du die Dinge, die du kannst und die sich lohnen, nicht nur angehst, sondern auch ins Ziel bringst. Der Weg dahin besteht aus drei Schritten:
1. Sich Ziele vornehmen wie Sportler
Sportler malen sich in der mentalen Vorbereitung den Sieg und den Weg dorthin in ihrer Fantasie so lebensnah und detailliert wie möglich aus. Sie tun das immer wieder und so intensiv, dass sie nicht nur „bewusst gewinnen“, sondern auch mit dem Herzen – siehe „Bremse I lösen“.
Hätte Brigit Lamprecht sich ganz lebendig vorgestellt, wie sich alle abklatschen, weil die Abteilung endlich profitabel ist und der Chef seiner Begeisterung durch einen Bonus Ausdruck verleiht, hätte sie der Bewerberkonkurrenz die Stirn geboten. Das Bild, wie Noah am Strand von Fuerteventura den Schulstress beim Wassersport hinter sich lässt, um danach endlich die Kurve Richtung Abi zu kriegen, hätte sie vermutlich zusätzlich beflügelt.
Der tatsächlich funktionierende „Trick“ dabei ist, dass dein Gehirn nicht zwischen echter Wahrnehmung und Imagination unterscheiden kann. Auf diese Weise beginnt das Unterbewusstsein zu glauben, was du ihm wiederholt „vorspielst“. Aus dem Ausmalen wird eine realistische, glaubhafte und intuitiv abrufbare Erwartung für dich.
2. Innere Stimmen kommentieren wie Psychologen
Trotz perfekt ausgemalter Ziele plappern die zweifelnden Stimmen der „Bremse II“ innerlich dazwischen – mit einem Spektrum, das bis zu lähmenden Vorbehalten reichen kann. Psychologen kennen den Kniff, um diese abzuschwächen: Mache den Zweifel zum „guten alten Bekannten“: „Lieber Zweifler, danke – du hast mich schon oft zur Vorsicht gemahnt und vor falschen Entscheidungen bewahrt. Um aber endlich im Beruf vorwärts zu kommen, gebe ich jetzt meinem Optimismus und meiner Tatkraft Raum und sage dir: Ich bekomme das hin.“
Das wiederholst du so lange, bis es zur unbewussten Wahrheit geworden ist. Eine Daumenregel dafür ist: zweimal täglich über wenigstens zwei Monate hinweg. Ertönt der Zweifel erneut, begrüßt du ihn mit einem Lächeln: „Hallo lieber Zweifler, ach du bist es wieder, …“ So nimmst du ihm den Stachel und die Macht über dein Denken und Tun.
3. Den Körper nutzen wie Schauspieler
Der dritte Schritt beruht auf der Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche. Wenn du an eine gute oder schlechte Nachricht denkst, zieht das körperliche Reaktionen nach sich: beispielsweise Entspannung und Wohlbefinden oder Niedergeschlagenheit und Energielosigkeit. Die Ursache dafür sind Veränderungen in deinem Hormonspiegel. Das funktioniert auch umgekehrt: Nimm mindestens zwei Minuten lang eine aufrechte, selbstbewusste, offene und gelassene Körperhaltung ein, den sog. „Hochstatus“, dann steigt dein Testosteronspiegel, während das Stresshormon Cortisol abgebaut wird. Die Folgen sind mehr Selbstvertrauen und innere Stärke.
Wenn ein übellauniger Schauspieler eine fröhliche Rolle spielen soll, wechselt er in eine optimistische Körperhaltung, „um sich in Stimmung zu bringen“. Ist er gut drauf und soll eine tragische Situation spielen, „lässt er sich eine Weile hängen“.
Selbstwirksamkeit kann jeder – und sie funktioniert!
Diese drei Schritte sind einfach und können von jedem Menschen umgesetzt werden, der sich weiterentwickeln will. Sie steigern treffsicher das, was Albert Bandura unter „Selbstwirksamkeit“ versteht und was wir etwas ungenau „Selbstvertrauen“ nennen: die Zuversicht, Herausforderungen aus eigener Kraft meistern zu können. Ist der Einstieg geschafft, dann sind der stärkste Booster dafür die eigenen Erfolgserlebnisse. Sie mehren die Selbstwirksamkeit und beflügeln uns zur Annahme sukzessive größerer Herausforderungen.
Als Birgit Lamprecht wenige Monate nach dem Gespräch mit dem Kollegen über einen Magazinbeitrag zum Thema stolperte, war sie zuerst verblüfft. Kurz danach jedoch startete sie ins tägliche Training. Und siehe da: Woche für Woche brauchte sie immer weniger Zeit, um in den Erfolgsmodus zu gelangen. Dass Kollege Schmidt mit der großen Klappe und dem hypertrophierten Ego den Job nicht hinbekam, zeichnete sich mittlerweile eindeutig ab. Das hatte auch der Chef schon mitbekommen. Wenn ihre Chance kam, war sie bereit. Und sie war sicher, dass sie dieses Mal nicht kneifen, sondern das Ruder herumreißen würde.