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Tödliche Arroganz: So schützen Sie Ihr Unternehmen vor dem Abgesang

In der Konzernzentrale knallen die Korken und klirren die Gläser: „Denen haben wir es mal wieder gezeigt. Ein Telefon ist eben doch kein Computer. Da kann sich Steve Jobs noch so auf den Kopf stellen. Unseren Vorsprung holen die niemals ein.“ Der Ort dieser fiktiven Feier: Espoo, Finnland, der Sitz von Nokia – 1865 als Papierfabrik gegründet und knapp 140 Jahre später der gefühlte Alleinherrscher über die Mobilfunkwelt.

Den Grund fürs ausgelassene Beisammensein titelte der Tagesspiegel vom 28. November 2007: „Nokia deklassiert die Handy-Konkurrenz. US-Konkurrent Motorola im freien Fall“. Im Absatz darauf hieß es: „Apples iPhone schafft den Sprung in die Statistik.“ Bei Nokia rieb man sich die Hände. Die Konkurrenz abgehängt und außer einem Emporkömmling, der besser Computer kann als Mobilfunk, keine Konkurrenz in Sicht.

Was konnte Apple schon wollen mit dem schrägen Versuch, einen Computer zum Telefon oder ein Telefon zum Computer zu machen? Technologisch war man bei Nokia mindestens ein Jahr voraus. Man hatte das beste Interface, verkaufte mit Abstand die meisten Geräte mit Musikplayer und hatte eine nicht einholbare Anzahl verschiedener Modelle für jeden Zweck und Geldbeutel im Angebot. Welch wunderbare Perspektiven. Hätte es den feuchtfröhlichen Abend im Süden Finnlands wirklich gegeben, er hätte vermutlich noch lange nicht geendet.

Subventions-Heuschrecke oder Karawanen-Kapitalisten?

Doch leider: Keine fünf Jahre später kam der große Katzenjammer, und man kredenzte Baldriantee in Henkeltassen statt Champagner in edlen Flöten. Während im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Ulm in Gedanken schon die Kisten gepackt wurden, meldete sich erneut der Tagesspiegel und posaunte am 14. September 2012: „Tausende Entlassungen bei Handyhersteller. Nokia schließt Werk in Ulm.“

Nokia war binnen fünf Jahren mit Vollgas aus dem Olymp in den Hades gerauscht. Die Gründe? Wie immer komplex bei einem Unternehmen dieser Größe. In Deutschland war der Umsatz schon 2008 eingebrochen, als man das fast 2.500 Mitarbeiter starke Hauptwerk in Bochum schloss, um sich mit der Produktion ins billigere Rumänien zu verdünnisieren. All das und sicher nicht zufällig exakt nach dem Auslaufen der Subventionsvereinbarungen mit der deutschen Regierung.

„Subventions-Heuschrecke“ (NRW-Ministerpräsident Rüttgers) und „Karawanen-Kapitalismus“ (Bundesfinanzminister Peer Steinbrück) oder doch nur eine harte, aus wirtschaftlichen Gründen jedoch nachvollziehbare Entscheidung? Die Presse war geteilter Meinung, doch die über 2.000 Entlassenen in Bochum und die deutschen Konsumenten reagierten weniger ausgewogen und präsentierten den Finnen die Quittung.

Als Nokia starb und es nicht mitkriegte

Der eigentliche Grund für den Niedergang jedoch war ein anderer. Apple und Samsung hatten rasant aufgeholt und aus den eher profanen Handys, die auch Musik spielen konnten, „richtige Smartphones“ und durch geschicktes Marketing sogar Sehnsuchtsobjekte gemacht. Als 2007 in Espoo der fiktive Schampus strömte, schmiedeten die umtriebigen Amis und die wuseligen Koreaner Weltimperien, die Nokia vom Erdboden tilgten.

Irgendwann in 2007 war der Nokia-Day: der Tag an dem Nokia starb, ohne es zu bemerken. Eine arrogante und tödliche Fehleinschätzung des Markts, der Kundenwünsche und der eigenen Unbesiegbarkeit hatte die Agonie bereits eingeläutet, als auf den Chefetagen noch der Schaumwein perlte. Selbst als 2011 die Alarmglocken immer lauter schrillten, weil der Marktanteil um die Hälfte zurückgegangen war, glaubte der neue CEO noch, eine Brandrede würde schon reichen, um das Ruder herumzureißen.

Denkfallen, die Veränderung verhindern

Ähnliche Momente gab es vor und nach Nokia zuhauf. Kodak wollte die Digitalfotografie nicht wahrhaben, Leica beschwor lange Zeit die Renaissance des Analogen. Quelle glaubte weiterhin an Kataloge, MediaMarkt an Filialen, und die weltweite Automobilindustrie prustete vor Lachen, als ein Spinner 6.000 Laptop-Akkuzellen in einen Roadster einbaute. Und heute? Wenn man den Meldungen glauben darf, ist Tesla wertvoller als Volkswagen und den deutschen Big-Playern technisch um Jahre voraus. Also Zeit für Brandreden in der Autobranche, statt mit aller Kraft etwas zu ändern? Wir dürfen gespannt sein, was geschieht.

Die spannende Frage hinter all dem jedoch lautet: Warum wiederholen sich diese Wirtschaftskrimis wieder und wieder? Was hält Unternehmenslenker davon ab, aus mannigfachen Negativbeispielen zu lernen und wirksame Veränderungen rechtzeitig anzupacken? Die Ursache dahinter sind eine Reihe von Denkfallen, in die wir nur allzu gerne tappen. Besonders prominent sind die folgenden.

Verzerrte Wahrnehmung

Bedrohungen starten langsam, fast wie in Zeitlupe, doch wachsen danach exponentiell. Solange also noch Zeit zum Gegensteuern ist, spielt unser Hirn die Gefährdung massiv herunter.

Bei Nokia ging das besonders schnell. Erst im Jahr 2000 kamen die ersten Handys mit Musikplayer auf, 2007 war Nokia auf dem Zenit und bereits 2012 verkaufte es seine Handysparte, zerrieben zwischen Samsung und Apple. Was für eine rasende Fahrt den Berg hinauf und wieder herunter.

Falsche Priorisierung

„Wir müssen uns doch ums operative Geschäft kümmern.“ So lautet DER Standardsatz, um sich entschuldigend aus der Affäre zu ziehen, wenn man weiter falsch priorisiert, obwohl die Zeichen längst auf Sturm stehen. Schließlich hat man es ja so gelernt und es hat noch immer geklappt.

Nokia hatte alle Hände voll damit zu tun, immer neue Modelle auf den Markt zu werfen, um die Lust der Kunden daran zu stillen, einer der Ersten mit dem krachneuen Knaller-Handy zu sein. Produzieren, Verkaufen und sich im Erfolg sonnen, statt nach Durchbrüchen zu fahnden, lautete der Fokus der Finnen, der sich schon bald rächen sollte.

Irrglaube an anhaltende Erfolge

Vergangene Erfolge sind kein Garant, für alle Zeiten Marktführer zu bleiben. So gerne Unternehmen sich das vorgaukeln, so falsch ist es. Zukünftige Erfolge kommen von Innovation statt Tradition und aus Veränderung statt „weiter so!“.

Geblendet vom Erfolg und vom Abschütteln von Motorola, dem alten Rivalen der Mobilfunkgründerzeit, war Nokia vom kreativen Disruptor zum langweiligen Optimierer geworden. Als man aufhörte, Berge zu versetzen, um jedes Jahr nur noch ein Schippchen Neues auf den Hügel des Alten zu packen, war das Schicksal besiegelt.

Wann ist Ihr Nokia-Day? Und was tun, wenn er kommt?

Nokia hatte den Nokia-Day, Kodak den Kodak-Day, bei Grundig, Schlecker und Quelle war es nicht anders. MediaMarkt und Saturn schüttelt es kräftig durch, während sie an neuen Konzepten werkeln, deren Erfolg hoch ungewiss ist. Wie aber heißt Ihr Unternehmen, und was können Sie tun, um seinen „Day“ zu verhindern?

Schauen Sie kritisch auf die Situation Ihrer Organisation. Wenn Sie auch nur eine der genannten Denkfallen entdecken, dann handeln sie sofort und entschlossen. Je länger sie warten, desto eiliger und größer wird Ihr Transformationsbedarf, desto tiefer geht der Riss durch Ihre Organisation und desto belastender wird die Veränderung für die einzelnen Menschen und das gesamte Unternehmen. Bedenken Sie: Jeden Tag des Zögerns müssen Sie mehrfach wieder hereinholen. Ein Glück, wenn es dann noch nicht zu spät ist. Fehler können Sie sich dann definitiv keine mehr erlauben.