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Get connected! Wirksame Führung braucht Empathie

„In der Krise zeigt sich der wahre Charakter“ – was Helmut Schmidt anlässlich der verheerenden Sturmflut von 1962 erfahren hat, gilt genauso in Zeiten der Coronapandemie. Auf der Bühne stehen Protagonisten wie Donald Trump, Boris Johnson, aber auch ein Markus Söder, Armin Laschet, Michael Müller oder Kasper Rorsted. Die Bandbreite ihrer Charakterrollen reicht von gefährlicher Ignoranz, ängstlichem Zaudern und blindem Aktionismus über egomanische Machtkämpfe und kleingeistige Zuständigkeitsrangeleien bis hin zu wohlüberlegtem, zügigem Kommunizieren und Handeln.

Den von Schmidt angesprochenen „wahren Charakter“ machen dabei diejenigen Verhaltensreflexe aus, die quasi ungefiltert aus dem Rückenmark kommen. Sind sie zuträglich, ist alles gut. Sind sie jedoch abträglich, dann fällt vor allem eines auf: Es fehlt an Empathie, und das kann großen Schaden anrichten.

Das Leugnen und Verzögern wichtiger Maßnahmen, gerade in den USA und Großbritannien, war ein Schlag ins Gesicht der Menschen im Land, die schon längst auf breiter Front gegen Covid-19 kämpften. Den Staatsoberhäuptern gelang es nicht, an die Erfahrungswelt der Menschen anzudocken. Ja, schlimmer noch: Es war ihnen egal, denn eine derartige Krise passte nicht ins Konzept, und ein empathischer Umgang damit spielt in den Denk- und Verhaltensstrukturen dieser Führungsgestalten keine Rolle.

Die Folge: Das Virus hatte in diesen Ländern viel zu lange freie Bahn – mit dramatischen Auswirkungen. Der Effekt war auch vor der Krise schon auf breiter Front spürbar, jetzt ist er jedoch massiv verstärkt und damit besonders offensichtlich: Führung ohne Empathie führt direkt ins Chaos. Eine Erfahrung, die auch Adidas mit der verwegenen Idee machen musste, die Pandemie als Rechtfertigung fürs Schonen der eigenen Kasse in puncto Mietzahlungen zu missbrauchen.

Was macht Empathie in der Führung aus?

Das Prinzip ist einfach: Man wähle die eigenen Führungsmittel so, dass die Menschen, die folgen sollen, sich vertrauensvoll und mit dem Gefühl der Verbundenheit auf die gewünschte Richtung einlassen können. Die unabdingbare Grundvoraussetzung dafür ist das Sich-Einfühlen in die Situation derjenigen, die folgen sollen. Ohne dieses emotionale Andocken kann weder Vertrauen noch Verbundenheit entstehen.

Es geht keineswegs um Gefühlsduselei à la „Wir haben uns alle lieb“, sondern darum, aus den rationalen Erfordernissen und den emotionalen Befindlichkeiten das geeignete Führungsverhalten für die jeweilige Situation zu entwickeln. Die Bandbreite reicht dabei von demütiger Handreichung bis zu knallharter Taktvorgabe. Wichtig ist allein: Der eingeschlagene Weg soll dazu führen, dass alle Beteiligten das gesteckte Ziel mit größtmöglicher Akzeptanz gemeinsam verfolgen. In den USA und in Großbritannien war das genaue Gegenteil der Fall.

US-Präsident Donald Trump leugnete selbst dann noch die Wucht des Virus, als seine Berater ihm längst Schwarz auf Weiß die Katastrophe prophezeiten. Warum? Weil er lieber auf Biegen und Brechen dem eigenen narzisstischen Weltbild folgen wollte. In seiner Welt hat ein Präsident Covid-19 selbstverständlich im Griff und erstickt es zum Wohl seines Volks im Keim. Auch dem britischen Premierminister Boris Johnson kam das Virus denkbar ungelegen. Er wollte sich als Mann feiern lassen, der den Brexit vollzogen hat, und nicht als der Staatschef in die Geschichte eingehen, dessen marodes Gesundheitssystem von einer Pandemie in die Knie gezwungen wurde.

Aber auch in Deutschland erkannten nicht alle das Gebot der Stunde: Berlins Oberbürgermeister Michael Müller hielt anfangs ebenso wenig von Schulschließungen und Co. wie NRW-Ministerpräsident Armin Laschet mit dem Paradebeispiel Heinsberg vor der eigenen Haustür. Auch die aktuelle Kakophonie rund um mögliche Lockerungen der Schutzmaßnahmen fällt in diese Kategorie.

Was sind die Gründe für ein solches Verhalten? Vermutlich Unsicherheit und Angst davor, mit unpopulären Maßnahmen auf Ablehnung zu treffen. Fest steht: Wenn im eigenen Hoheitsgebiet Patienten auf der Intensivstation liegen und parallel dazu aus der ganzen Welt erschütternde Nachrichten eintreffen, brauchen die Menschen Ansagen, die sie emotional abholen, also Empathie – und nicht ein zauderndes Warten darauf, dass erst andere vormachen, wie es geht.

Wie geht Empathie?

Der Weg dorthin beginnt damit, sich selbst kennenzulernen. Die erste Frage lautet: Welche Werte und Überzeugungen bestimmen unbewusst mein Handeln? Und die zweite Frage gleich danach: Wie zieldienlich sind meine Werte und Überzeugungen für die jeweilige Situation? Mit der selbstgefälligen und trotzigen Haltung „Ich weiß es besser“ den Rat von Experten abzulehnen führt schon in normalen Zeiten zu Durcheinander, im Fall einer Pandemie jedoch gefährlich nah an den Abgrund. Empathie für sich selbst wiederum ist die Basis dafür, um sich im nächsten Schritt die emotionalen Befindlichkeiten der zu führenden Menschen bewusst zu machen. Wer diese Hausaufgaben erledigt hat, wird sein Schiff zielstrebig auf Kurs bringen und konsequent dort halten. Denn daraus folgen Vertrauen und Verbundenheit sowie Sicherheit.

Es sei angemerkt, dass dieser Prozess Arbeit bedeutet und nicht mal eben so aus dem Handgelenk zu schütteln ist. Meist wird er sogar nur mit externer Unterstützung zu bewältigen sein. Doch diesen Aufwand zu betreiben ist dringend nötig angesichts des immensen Risikos, das entsteht, wenn Menschen nicht oder nur zögernd folgen. In der Wirtschaft reichen die Folgen von massiven Image- und Vertrauensschäden, siehe Adidas, bis hin zum kompletten Untergang von Unternehmen. In der Coronakrise geht es – und das ist bitter – um Zehntausende von Menschenleben.

Keine Angst vor Gefühlen!

Wie es besser funktioniert, demonstrierte BMW-Chef Oliver Zipse schon Mitte März: Bei der Jahresbilanz setzte er auf Ehrlichkeit, verzichtete auf jegliche Art von Euphemismus, machte der Belegschaft aber zugleich Mut, indem er auf die solide Basis des Unternehmens verwies. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder erwies sich als solider Krisenmanager und schuf für die Menschen im Freistaat – trotz Kritik aus den anderen Bundesländern für seinen Alleingang – schon früh einen klaren und akzeptierten Handlungsrahmen.

Beiden Krisenmanagern ist eines gemeinsam: Sie haben sich vor ihren Auftritten mit sich selbst, aber auch mit den Ängsten und Sorgen der Menschen um sie herum intensiv auseinandergesetzt und empathisch agiert. Das Resultat: Vertrauen statt Angst. Zustimmung statt Widerstand. Ordnung statt Chaos. Wer es schafft, über das Rationalitätsdiktat hinaus den Schlüssel zu den eigenen Emotionen und denen von Mitarbeitern, Geschäftspartnern, Kunden und Bürgern zu finden, wird in herausfordernden Situationen zur Leitfigur und die Menschen dazu motivieren, die notwendigen Veränderungen mitzutragen. In diesem Sinne: Get connected!