© Bild: Dr. Dieter Lederer

Paukenschlag bei Volkswagen: Die Ära Diess geht zu Ende – ein Scheitern mit Ansage

Am gestrigen Montag hat das „System Volkswagen“ wieder zugeschlagen. Zielgerichtet, hart und unerbittlich. Seitdem ist Konzernchef Diess seinen Posten als Markenvorstand VW los und damit einen erheblichen Teil seiner Macht sowie seines Bezugs zur Basis. Zudem ist er nur knapp an seiner Abberufung vorbeigeschrammt. Vordergründig ging es um seine unternehmens-öffentlich geäußerte Kritik am Aufsichtsrat, doch die Geschichte dahinter ist wesentlich länger.

Ironischerweise hat BMW bereits 2014 die Weichen für das obige Spektakel bei seinem Konkurrenten gestellt. Dort nämlich wurde der Machtmensch Diess bei der Besetzung des Chefpostens übergangen, was ihn dazu veranlasst hat, schnurstracks in Wolfsburg anzuheuern. Seine Mission: Vorstandsvorsitzender werden. Vor gut zwei Jahren war es dann soweit und Diess am Ziel seiner Karriere. Hier könnte die Geschichte in Wohlgefallen enden, doch das tut sie nicht, denn Diess scheitert: an sich selbst und am „System Volkswagen“.

Scheitern an sich selbst: mangelnde Integrität

Diess gibt den harten Manager, der mit klarer Kante führt, schnell entscheidet, unnachgiebig einfordert und draufhaut, wenn es sein muss. Diese Charakteristik eines Old-School-Managers wird ihm zum Verhängnis. Beispiele sind:

  • Konfrontation: Wer anderer Meinung ist, wird konfrontiert, gerne auch in größerer Runde, denn das gehört sich nicht.
  • Abwertung: Wer nicht liefert wie erwartet, wird abgewertet, lautstark und unter der Gürtellinie. Metaphorisch an die Wand genagelt zu werden, ist dabei noch das Wenigste.
  • Abgrenzung: Wenn etwas schiefläuft, sind es die anderen. Diess‘ Rolle ist es, festzustellen, aufzuklären, zu sanktionieren – und sich selbst davon zu distanzieren.
  • Verzerrung: „Der beste Anlauf, den wir je hatten“ attestierte Diess dem Golf 8. Kein Wunder, dass das seine Leute auf die Barrikaden brachte, denn es war schlichtweg eine massive Verzerrung der Realität.

Dieses Verhaltens-Repertoire hat eine fatale Auswirkung: es untergräbt die eigene Integrität – beim Führungsteam, bei den Mitarbeitern, beim Betriebsrat und beim Aufsichtsrat. Menschen glauben und vertrauen nur solchen Menschen, die sie als integer wahrnehmen. Alles andere führt bestenfalls zu Dienst nach Vorschrift, schlimmstenfalls zu Intriganz und Revolte.

Scheitern am System: unterschätzte Macht

Dass der Betriebsrats-Vorsitzende bei VW eine übermächtige Position hat, und das in Person von Bernd Osterloh schon seit 2005, ist der ganzen Republik bekannt. Was immer man davon halten mag: Diess musste damit rechnen, dass er von einem „Co-CEO“ mit enorm breiter Machtbasis zwangsunterstützt wird. Doch er wäre nicht Diess, hätte er nicht mit dem scheinbar bewährten Mittel der Konfrontation reagiert. So wurden aus ersten Scharmützeln zunächst ein jahrelang brodelnder Konflikt und schließlich ein offener Machtkampf, als aus der Produktion Hiobsbotschaften zu den großen und für das Unternehmen entscheidenden Anläufen des Golf 8 und des ID.3 kamen.

Desaströs daran ist, dass Diess die von Osterloh ausgehende Gefahr kannte, er es aber dennoch vorzog, Öl ins Feuer zu gießen, statt die Beziehung zu befrieden. Er unterschätzte sein Gegenüber.

Neurobiologie: ignoriert

Mit etwas Distanz wäre leicht erkennbar gewesen, dass der eingeschlagene Weg nicht zum Erfolg führen kann. Die Neurobiologie hält wissenschaftlich nachgewiesene Fakten dazu parat: Menschen brauchen Verbundenheit mit anderen und ein Umfeld, in dem sie ihr Potenzial entfalten können, um sich einzusetzen und zu entwickeln.

Doch wie soll das funktionieren, wenn der CEO Integrität vermissen lässt? Harte Hand, klare Kante, Konfrontation, Abwertung führen zu einer Kultur der Angst, und damit zum glatten Gegenteil von Verbundenheit und Potenzialentfaltung. Die Folgen im Verhalten der Mitarbeiter sind klein beigeben, nicht aufmucken, grün melden statt gelb oder rot, dieselbe Meinung vertreten wie der Chef, Ideen zurückhalten und Missstände so belassen, wie sie sind. So kam es, wie es kommen musste: Diess verlor die Menschen – und scheiterte damit am eigenen Verhalten.

Es liegt nicht an der Technik

Man mag versucht sein, Diess als tragisches Opfer der komplexen Technik hoch innovativer Produkte zu sehen. Mit derart viel Neuem in Elektronik und Software können Anläufe eben nicht wie geplant gelingen, sondern brauchen Rekursionen. Doch diese Sichtweise vertauscht Ursache und Wirkung. Die Probleme in der Technik sind die Folge der Probleme in der Unternehmenskultur, nicht umgekehrt. Und sie werden zunehmen, solange die Verhaltensweisen im Top-Management so bleiben, wie sie sind.

Reformen: Fehlanzeige

Ist die Entmachtung Diess‘ ein Anzeichen für kommende Reformen bei Volkswagen? Keineswegs. Sie ist Ausdruck dessen, dass in dem von Seilschaften und Intrigen bestimmten Konzern-Machtpoker eine Seite die Oberhand gewonnen und sich durchgesetzt hat. Das „System VW“, gleichwohl seit Jahrzehnten dysfunktional und unternehmerisch kontraproduktiv, wird wohl weiter aufrechterhalten. Trotz Vetternwirtschaft, Gehaltsaffären, Lustreisen, Porsche-Übernahmeschlacht, Dieselskandal sowie Verfilzung mit Politik und Justiz. Trotz massiven Innovationsrückstands bei der Elektromobilität, in der Software-Technologie sowie bei Geschäfts- und Vertriebsmodellen. Trotz ausufernder Modellpaletten und Überproduktion.

Derzeit laufen Nachrichten über die Ticker, die davon künden, dass Minneapolis als erste Stadt in den USA das Police Department in seiner jetzigen Struktur abschaffen und völlig neu organisieren will, da es nicht mehr reformierbar sei. Welch mutige Entscheidung!

Volkswagen braucht dringend Reformen, die jedoch alleine von innen heraus und aus eigener Kraft nicht leistbar sind. Auch dafür bräuchte es mutige Entscheidungen, die nicht nur das Management betreffen, sondern Aufsichtsrat und Betriebsrat gleichermaßen. Doch diese Erkenntnis scheint noch nicht angekommen zu sein. Bleibt der Konzern bei seiner Ignoranz und Selbstgefälligkeit, sind seine Tage möglicherweise gezählt. Insofern sollte die Entmachtung Diess‘ zu denken geben, denn sie ist ein Scheitern mit Ansage.